Aber das Verhältnis stimmt nicht mehr

8. Mai 2016

Tief beeindruckt waren viele Teilnehmer der Kundgebung von den klaren Worten Dr. Christoph Niessens, Vorstandsvorsitzender des Landessportbundes NRW.

Am 06.11.2012 druckte der Generalanzeiger Bonn unter der Schlagzeile “Der Sport guckt nach Bonn” auf Seite 28 ein Gespräch von GA-Redakteur Michael Nickels mit Christoph Niessen ab (Auszug).

GA: Aber jeder weiß auch, dass die Hochkultur teurer ist als der Sport.
Niessen: Ja, das stellt auch keiner ernsthaft in Frage. Aber das Verhältnis stimmt nicht mehr. Das ist für mich der entscheidende Satz.

Seinen Redebeitrag der Kundgebung in Bonn stellte Christoph Niessen Pro Sportstadt Bonn zum Abdruck zur Verfügung, herzlichen Dank dafür ( Statement Dr Christoph Niessen (69.0 KiB)):

Statement Dr. Christoph Niessen,Vorsitzender der Geschäftsführung des Landessportbundes NRW bei der Demonstration „Rettet den Bonner Sport“ der Initiative Pro-Sportstadt-Bonn und des SSB Bonn am 03.11.2012

Meine Damen und Herren,
liebe Sportfreunde,

Bonn ist überall. Und deswegen ist es gut, dass Sie heute hier sind, um Ihre Forderungen an die Politik deutlich zu machen.

In Bonn steht aktuell das Missverhältnis zwischen der Förderung des Sports auf der einen Seite und der Förderung der Hochkultur auf der anderen Seite im Blickpunkt. Aber nicht nur da gibt es ein Missverhältnis.

Denn in politischen Reden werden die Sportvereine heute leider nur dann gern genannt, wenn es darum geht, gesellschaftliche Probleme zu lösen.

  • Wenn z.B. immer mehr Menschen unter Bewegungsmangelkrankheiten leiden, dann sind Ihre Sportvereine als kostengünstige Bewegungsanbieter willkommen.
  • Wenn immer weniger Kinder schwimmen können, weil sie es in der Schule und in der Familie nicht mehr lernen, dann sind Ihre Sportvereine als billige Schwimmlehrer willkommen.
  • Wenn immer deutlicher wird, dass Deutschland ein Einwanderungsland ist und dass es viel zu wenig Konzepte für gelingende Integration gibt, dann sind Ihre Sportvereine als Integrationsmotoren willkommen.

Diesen und vielen andere Ansprüchen an Sportvereine haben wir uns alle jahrelang gern und wie selbstverständlich gestellt. Aber dafür benötigen die Sportvereine eben auch die richtigen Rahmenbedingungen. Und leider müssen wir feststellen, dass diese immer weniger gegeben sind, dass hier ein krasses Missverhältnis besteht.

  • Denn wenn Sportvereine fordern, dass die vielfach maroden öffentlichen Sportstätten, auf die sie angewiesen sind, saniert werden, sind sie nicht mehr willkommen.
  • Denn wenn Sportvereine fragen, warum die Förderung des Landes für Übungsleiter heute nur noch halb so hoch ist wie vor zehn Jahren, dann sind sie nicht mehr willkommen.
  • Denn wenn Sportvereine darauf hinweisen, dass die ständig sinkenden kommunalen Zuschüsse zur Vereinsarbeit für die vielen Ehrenamtlerinnen und Ehrenamtler ein Schlag ins Gesicht sind, dann sind sie nicht mehr willkommen.

Kein anderer gesellschaftlicher Bereich verfügt über ein so dichtes Netz von Vereinen und so viele ehrenamtlich engagierte Menschen wie der Sport. Sie haben also jedes Recht, mehr politische Unterstützung und eine angemessene finanzielle Förderung durch die Kommunen und das Land zu verlangen.

Denn Sportvereine leisten weit mehr, als Sport zu organisieren.

  • Sportvereine vermitteln Werte wie Fair Play, Toleranz und Teamgeist,
  • Sportvereine fördern sinnvolle Leistungsorientierung unter Einhaltung klarer Regeln,
  • Sportvereine tragen zum Zusammenhalt der Menschen bei. Sie sind Orte der Gemeinsamkeit, nicht nur für Kinder, sondern auch für wachsende Zahl älterer Menschen.
  • Und: Sportvereine leisten einen hohen Beitrag zur Entlastung der öffentlichen Finanzen. Sie bringen ehrenamtliche Arbeit im Wert von vielen Millionen Euro ein. Sie übernehmen den Schlüsseldienst und die Reinigung von öffentlichen Sportstätten bis hin zur vollständigen Übernahme von öffentlichen Sportstätten.

Die Ministerpräsidentin des Landes NRW sagt immer: Wir müssen präventiv mehr in eine gute Entwicklung unserer Gesellschaft investieren, statt hinterher viel Geld für gesellschaftliche Probleme auszugeben. Da kann man der Politik nur sagen: Dann investieren Sie in den Sport und seine Vereine. Denn genau hier wird diese präventive Arbeit geleistet.

Ein weiterer Punkt: Das Megathema „Bildung“. Auf allen Kanälen wird über Bildung diskutiert. Und mittlerweile hat auch der Letzte begriffen: Bildung ist mehr als Schule. Bildung heißt auch Kultur, ja, und Bildung heißt eben auch Bewegung, Spiel und Sport. Unsere Sportvereine sind ein Ort der Bildung. Und ich kann Sie nur auffordern: Machen Sie das immer wieder deutlich.

Machen Sie deutlich,

  • dass Kinder und Jugendliche in Ihren Vereinen lernen, Verantwortung zu übernehmen und sich selbst zu organisieren,
  • dass Kinder und Jugendliche in Ihren Sportvereinen soziale Kompetenzen erlernen und vertiefen,
  • dass Kinder und Jugendliche in Ihren Vereinen durch gezielte Bewegungsförderung auch ihre Konzentrations- und Lernfähigkeit verbessern, was mehr als einmal wissenschaftlich belegt worden ist,
  • dass Kinder und Jugendliche in Ihren Sportvereinen lernen, respektvoll mit anderen umzugehen und Regeln zu akzeptieren.

All das sind wichtige Bestandteile einer umfassenden Persönlichkeitsentwicklung. Es sind wertvolle Beiträge der Sportvereine für unsere Gesellschaft.

Das muss von der Politik, auch von der Lokalpolitik in Bonn angemessen berücksichtigt werden. „Sport ist durch Land und Gemeinden zu pflegen und zu fördern“, so steht es in der Verfassung des Landes Nordrhein-Westfalen. Das gilt auch für die Bundesstadt Bonn. Nirgendwo steht, dass Sport nachrangig oder weniger zu fördern ist als andere gesellschaftliche Bereiche. Und wenn es dann trotzdem solch krasse Missverhältnisse gibt wie hier, dann ist das durch nichts zu rechtfertigen.

Die Politik muss sich fragen lassen:

  • Wollen Sie Kinder, die nicht mehr rückwärts laufen können, ohne hinzufallen,
  • wollen Sie Kinder, die schon in der Grundschule übergewichtig sind,
  • wollen Sie Kinder, die mehr mit dem Computer statt mit anderen Kindern spielen und
  • wollen Sie, dass Sport demnächst nur noch für Besserverdienende in teuren kommerziellen Einrichtungen möglich ist?

Wenn Sie das nicht wollen, dann sorgen Sie für eine angemessene Unterstützung der 280 Bonner Sportvereine und ihrer vielen tausend ehrenamtlichen engagierten Übungsleiter, Trainer, Helfer und Vorstände.

Wenn sie wollen, dass möglichst viele Bonner sagen können:

  • Auch mal mehrere Anläufe nehmen, bis man Erfolg hat – das habe ich beim Sport gelernt.
  • Verlieren können – das habe ich beim Sport gelernt.
  • Selbstbewusst auftreten – das habe ich beim Sport gelernt.
  • Es kommt auf das richtige Team an – das habe ich beim Sport gelernt.
  • Verantwortung übernehmen – das habe ich beim Sport gelernt.

Wenn sie all das wollen, dann beenden Sie die Zeit der Absichtserklärungen! Geben Sie den Sportvereinen hier in Bonn Planungssicherheit! Schaffen Sie transparente Sportförderrichtlinien! Und vor allem: Geben Sie den Menschen, die sich hier engagieren, die Wertschätzung, die sie verdienen.