Der Steilpass – Mai 2014

23. November 2014

Vielleicht ist es jedes Jahr so, dass die Sprache der Trainer etwa ab dem 30. von 34 Spieltagen immer drastischer und farbiger wird, gleichsam als spiegelte sich in ihren Worten die Tabellensituation des Vereins, für den sie Verantwortung tragen. Das gilt sinngemäß auch für diejenigen, die uns das Geschehen näher bringen. Das sind die Reporter an den Mikrofonen oder Berichterstatter in den Zeitungen.

„Heute habe ich den ersten Hasen gesehen, nein, nicht den Osterhasen, sondern den Angsthasen.“ ( Sabine Töpperwien, WDR2, MöGladb. vs VfB Stuttgart 1 : 1 ). Gladbachs Trainer LeFavre kommentierte die Pfiffe gegen seine Mannschaft, die von den Schicki-Mickis der Hauptribüne und damit nicht von den Fans kamen, mit der Bemerkung: „ Ich bedanke mich bei den echten Fans. Die auf der Haupttribüne haben pfiefen (Kein Schreibfehler). Sie werden dumm sterben“(ARD). Fußball als Gradmesser für Intelligenz war mir bisher neu – muss also zukünftig geprüft werden. Ich wollte, ich spräche so gut französisch wie LeFavre deutsch.

Freiburgs Trainer Streich wagte sich an eine Prognose, die auf ihren Bestand hin sicherlich auch noch überprüft werden muss: „ Ich sage immer die Wahrheit.“(ARD)

Da Prognosen besonders schwierig sind, vor allem, wenn sie auf die Zukunft bezogen sind (kleine Kritik an alle Experten), hielt sich ein anderer Reporter an Ostern ( Paderborn vs. Fürth 2 : 2 ) an den Osterhasen: „ Das Spiel lief von Anfang an so unrund wie ein Osterei.“ Jetzt wissen wir endlich, wie ein Osterei läuft.

Da bei der Abstiegsfrage (30.Spieltag) noch nichts entschieden war, „gibt es jetzt für die nächsten Wochen einen neuen Berufsstand: den Blitztabellenexperten“, formulierte der Mann am Mikrofon bei Hannover vs. HSV 2 : 1 (WDR2). Wie wichtig sein Trainer ( Schuster, Heidenheim, 3.Liga) ist, formulierte sein Spieler Michael Thurk bildlich: „ Nach der Ansprache von ihm gehst Du raus, ohne die Tür aufzumachen.“ Sein Kieler Widerpart als Trainer erlebte beim Stand von 0 : 0 in diesem Spiel die Rote Karte gegen seinen Spieler Schäffler wegen eines völlig unnötigen Schubsers (Tätlichkeit) an einem Gegenspieler. Man verlor mit einem Spieler weniger letztendlich mit 3 : 0. Nach dem Spiel wetterte der Trainer über seinen Spieler vor laufender ARD-Kamera: „ Das kotzt mich an. So kriegt die ganze Mannschaft einen vor die Koffer geschissen.“ Hier allerdings muss ich dem Trainer widersprechen. Geht man davon aus, dass 15 Spieler die Reise antraten, plus Staff, dann sind das ca. 20 Koffer. Das Gesagte schafft nicht Spieler Schäffler, das schafft nur einer, der sich anderntags einer Koloskopie (Darmspiegelung) unterzieht und dafür das Abführmittel Klean-Prep einzunehmen hat.

Dann gab es oben in der Tabelle die feinen psychologischen Spielchen zwischen den Bayern und dem BVB. Es war eine ungeschriebene Komödie voller Witz und Chuzpe rund um das Spiel FC Bayern M. vs. Borussia Dortmund 0 : 3 an diesem 30. Spieltag.

Als die Spieler auf die Treppe vor dem Ausgang zum Spielfeld kamen, stand Jürgen Klopp vom Fernseher aus gesehen rechts oben auf der Treppe. Die Münchener Spieler begrüßten ihn recht kollegial, der Brasilianer Dante umarmte ihn herzlich. Dann hörte Klopp wie nun Spieler Götze näher kam. Wie unabsichtlich ging Klopp einige Stufen die Treppe hinunter und vermied damit eine Begegnung mit Götze. Dieser hatte bei seinem überraschenden Umzug von Dortmund nach München seinem alten Trainer Klopp an das Schienbein getreten, als er sinngemäß erklärte, er wolle nach München, um sich bei einem wirklich erstklassigen Trainer weiterzuentwickeln. Das hat ihm Klopp offensichtlich noch nicht verziehen.

Als Torwart Neuer erschien, begleitete ihn der Reporter mit dem Hinweis: „ Der kann schon aus ethischen Gründen den BVB nicht gut finden“. Neuer kam von Schalke 04, dem Widerpart des BVB im Ruhrgebiet. Dieser Gegensatz hat allerdings mit ethischen ( sittlichen und moralischen ) Grundsätzen nichts zu tun. Des Reporters Fazit nach dem Spiel: „ Das Dortmunder Spiel war akademisch durchgetaktet.“ Er hätte es auch verständlicher sagen können. Es war eine taktisch-strategische Meisterleistung. Klopp hat nicht nur dem auf dem Platz unsichtbaren Marion Götze gezeigt, was er für ein Trainer ist.

Klopp hat noch ein Schübchen der feinen Ätzung oben drauf getan. Er ließ nämlich Lewandowski auf der Bank. Mit ihrem mutigen und frühen Pressing, mit geschicktem Abwehrverhalten und einem schnellen Umschaltspiel zeigte er den Bayern in aller Öffentlichkeit, dass es auch ohne Lewandowski geht.

Nach dem Spiel ByM. vs. BVB 0 : 3 meinte der Jürgen ganz gelassen ( stille Rache ist süß): „Wir hatten eh nix anderes zu tun, als hier Fußball zu spielen“, d.h. es ist normal, gegen die Bayern zu gewinnen. Damit hatte er auch Münchens Sportdirektor Sammer gefordert, der wenige Wochen vorher anderen Mannschaften vorwarf, sie würden nicht richtig trainieren. Sammer bemühte dann, nach Worten ringend, die Bibel: „ Das ist gut, wenn es einmal nicht gut ist.“ Bibelforscher müssten m.E. einmal in der Bibel in Richtig Hiob nachforschen, ob sie dort analoges finden.

Hinzu kommt zur gleichen Zeit der kaufmännische Erfolg für den BVB. Sportkamerad Sahin ging nach Madrid. Madrid zahlte 9 Mill. € Ablöse. Sportkamerad Sahin kam jetzt zurück. Der BVB zahlte 6 Mill. Ablöse. Das sind vor Steuern glatte 3 Millionen Gewinn, ohne mehr als Däumchen gedreht zu haben.

Etwas weniger geschliffen fiel dann noch die Antwort auf die Frage eines Reporters aus, der sich erkundigte, warum das sonst übliche Mittagessen zwischen den Bossen diesmal ausfiel.

„ Wir hatten einfach keinen Hunger“, war die ebenso kurze wie unkorrekte Antwort aus der Dortmunder Entourage. So macht Fußball einfach Spaß. Maupassant hätte daraus eine knisternde Kurzgeschichte gemacht.

In München hat man die Verabschiedung von Hoeneß vom Präsidentenamt als aufgetakelte Show inszeniert. Hoeneß kündigte an, er werde wiederkommen und weiter machen. Dagegen wäre nichts zu sagen. Aber einer, der erklärt, er habe Hass entwickelt (auf wen eigentlich?), wo er gleichzeitig uns Bürger um mindestens 40 Millionen € betrogen hat, hat keinen Anlass, Hass zu entwickeln, als wäre ihm Unrecht widerfahren. Diese selbst sich verherrlichende Person sollte im Fußball keine Rolle mehr spielen.

Die Champion’s League-Halbfinalhinspiele erfüllten die Erwartungen. Die beiden Madrider Vereine zeigten Chelsea und Bayern München die Grenzen. Einige Leser haben anschließend bei mir nachgefragt, warum Franck Ribéry nicht mitgespielt hätte. Ich muss das klarstellen. Sportkamerad Franck war zwar anwesend, aber nicht präsent. Vielleicht entstand deshalb die Unsicherheit.

Die Münchner versuchten gegen den Real-Riegel, den Ball hin und her zu schieben, ohne den für Barcelona plötzlich so entscheidenden Steilpass fertig zu bringen. Trainer Ancelotti (Italiener) hat Real gelehrt, wie man mit 10 Spielern hinten drin steht. Er hat ihnen aber auch das für Italiens Nationalmannschaft so typische schnelle Konterspiel beigebracht, woran unsere Nationalmannschaft regelmäßig scheitert.

Aus dem von Liverpool kommenden ungelenken Bale machte er einen quirligen, beweglichen Stürmer. Beim spanischen Pokalendspiel gegen Barcelona, das Madrid 2 : 1 gewann, schoss er das Siegtor. Dem ging ein 60-m Sprint voraus, für den er, mit dem Ball am Fuß, weniger als 7 Sekunden brauchte.

Das Halbfinale Real Madrid vs. Bayern München, im Gesamtergebnis 5 : 0, zeigte zwei Ensembles. Die einen wollten nur spielen ( Bayern), die anderen nur gewinnen (Real). Die ungewollte Bemerkung des Reporters beim Rückspiel: „ Es ist der Tanz (der Münchener) mit der Rasierklinge“, war eigentlich Unsinn. Man stelle sich 11 Münchener Spieler mit einer Rasierklinge tanzend vor. Dann war sie aber doch nicht so falsch. Man ließ sie bis zum Strafraum tanzen. Irgendwann fanden Pepe, Sergio Ramos oder Xabi Alonso dann, es reicht jetzt. Sie nahmen den Bayern ihr Spielzeug weg. Sie konterten blitzschnell und gekonnt.

Da Guardiola Genies wie Iniesta, Xavi und Messi nicht hat, wird er entweder seine Strategie auf internationalem Parkett umstellen müssen oder solche Spieler finden. Zur Zeit sehe ich aber nirgendwo vergleichbare Spieler. Für die Bundesliga und die Gruppenphase der Champion’s League reicht es allemal. Für mehr wird es nicht reichen. Da ist Borussia Dortmund, einmal ohne die vielen Verletzten, besser aufgestellt.

Die Frage, ob nun im Lissabonner Finale zwei Madrider oder zwei madrilenische Teams den Sieg unter sich ausmachen, versuchte Belá Réthy vergebens abzuarbeiten. Darüber stolperte er bis zum Ende der Übertragung. Gleichwohl hat ihm das Spiel gut gefallen. „Was will man als Kassenpatient mehr ?“, fragte er mich direkt aus London über das Mikrofon. Hoffentlich nicht nur mir ist die überragende Form der drei portugiesischen Nationalspieler in Reals Reihen aufgefallen, Deutschlands erstem Gegner bei der WM.

Atlético wiederum hat sich gegen Chelsea durchgesetzt, weil der Trainer Schönwetterspieler und Blender Diego ( gerade von Wolfsburg nach Madrid gegangen) nicht aufgestellt hat. Dadurch wirkte die Mannschaft viel kompakter und schneller nach vorne, weil von den anderen keiner mit herausgestelltem Hintern dem Zuschauer erst einmal zeigen musste, dass er mit dem Ball umgehen kann.

Mindestens genau so spannend wie das Endspiel in Lissabon wird das Strafverfahren gegen Paris St.Germain und Chelsea London wegen Verstoßes gegen das Financial Fair Play sein. Da wird sich herausstellen, ob die UEFA ein Papiertiger ist oder ein mutiger Verband.

Lernten wir in der letzten Zeit Begriffe wie den „ doppelten Doppelpass“ ( Belá Réthy) kennen, den „Lattendopler“ (Olic, VfL Wolfsburg schoss den Ball so an die Latte, dass er zweimal die Unterkante traf) oder den Pfostenroller ( ein Ball rollt von einem Pfosten parallel zur Torlinie zum anderen Pfosten), so kreierte der Reporter in Madrid den „Doppelkopf“. Spieler A köpft den Ball aufs Tor, Gegenspieler B köpft den Ball danach aus kurzer Entfernung ( die Distanz darf nicht mehr als 1 Meter betragen) wieder zurück.

Schade, dass es die Braunschweiger erwischt hat. Diese sympathische Mannschaft mit ihrem noch sympathischeren Trainer und dem geringen Etat hat sich wacker geschlagen. Von anderen kann man das nicht sagen. Mitabsteiger 1.FC Nürnberg war nie eine harmonische Mannschaft. Hier gilt der Satz von FDP-Lindner (10.05.) Tagesschau: „ Man kann nicht kämpfen, wenn die Hosen voller sind als das Herz.“ Das ist zwar Unsinn, klingt aber schön.

Siegbert Heid, 10.05.14