Der Steilpass – Oktober 2014

19. Januar 2015

Leverkusens 1 : 0 beim Auswärtsspiel in Dortmund nach 9 Sekunden war auch die Woche danach in aller Munde. Tatsächlich haben investigative Fans herausgefunden, dass jetzt auch vor kurzem die Geislinger ( Schwäbische Alb-Kreisliga) bereits nach 8 Sekunden erfolgreich waren. Im WDR gab es eine Abfrage, was die Zuhörer alles in 9 Sekunden tun könnten. Die schönste Rückmeldung war: „ Ihre dämliche Sendung abschalten“!

Wir können uns wieder auf herrliche Reporterpirouetten freuen. So war für einen aus der Zunft Firminhos Tor zum 1 : 0 für Hoffenheim in Bremen (2:2) „ ein Tor wie ein Gemälde“. Auf dem Weg in Richtung Zero vermutet dagegen ein Kollege den HSV „das ist wenig mit der Tendenz zu nichts“. Jüngst hat der „Kicker“ den Tabellenletzten sogar aus der Tabelle gestrichen (ein Versehen) und sie mit 17 Vereinen ohne den HSV gezeigt. Vielleicht geht es mit dem neuen Trainer Zinnbauer jetzt aufwärts ?

Aufgrund unserer Florenzreise hatte ich das Qualifikationsspiel Deutschland – Schottland nicht gesehen. Unser Hotel hatte nur ARD und ZDF. Nach Presseberichten habe RTL aus dem Spiel eine Werbesendung für alle möglichen Produkte gemacht. Der geldgeile DFB hat da hoffentlich kein Eigentor zu Lasten des Sportes geschossen. Mario Gomez wollten wir uns aber nicht entgehen lassen. So waren wir beim ersten Heimspiel der Fiorentina vs. Genua ( 0 : 0 ) im Stadion. Beide Teams verteidigten mit Fünferkette, so dass sich die Spannung in Grenzen hielt. Mario trabte sichtlich entspannt rauf und runter. Bis zu seiner Auswechslung in der 56. Minute ist er bei wohlwollendster Beurteilung höchstens 1,5 km gelaufen. Man muss Mario heißen, wie einst Mario Basler, dass einem diese Lauffaulheit nicht übel genommen wird. Dessen damaliger Trainer Beckenbauer urteilte über seinen lauffaulen Spieler nach einer Begegnung im Winter: „ Das Wichtigste ist, dass Mario auf dem Platz nicht erfroren ist.“ Das wohlwollende Publikum in Florenz dagegen verabschiedete Gomez sogar mit Beifall.

Diese Gelassenheit hat auf mich abgefärbt. Insofern bin ich Mario unendlich dankbar. Anderntags verließ ich nämlich mit der Dame an meiner Seite nach gefühlten drei Stunden einen Florentiner Damenschuhsalon. Normalerweise muss ein Mann mit Herzrasen und unkontrollierten Schweißausbrüchen nach einem derartigen Stresstest unverzüglich erster Hilfe zugeführt werden. Locker und entspannt, über mich staunend, verließ ich aber den Salon ohne Bluthochdruck und Herzinfarkt. Mario hat geholfen.

Gleichwohl ist ein Besuch von Florenz und der Toskana in dieser Jahreszeit nicht zu empfehlen. Ungezählte Gruppen von ca. 50 Personen blockierten die Gehwege. Dabei hielt ein Bärenführer immer einen Gegenstand in die Luft. Das konnte ein Fähnchen oder ein Regenschirm sein. Am Originellsten fand ich den, der mit einer gelben Badeente, die wir seit Loriot kennen, voranschritt. Dieser Touristenandrang scheint auch die Logistik von Transportunternehmen in Bedrängnis zu bringen. In Livorno wollte ich den Bus bezahlen. Das ging aber nicht, weil dem Fahrer die Fahrscheine ausgegangen waren. In Pisa erschien auf dem Display des Fotoapparates der schiefe Turm gar nicht so schief, so als ob der Apparat die Schieflage automatisch korrigieren würde. Hält man aber die Kamera ausreichend schief, bekommt man ein schönes Gefälle rein und damit einen schönen schiefen Turm. Von da an wurde ich Scherzkeks genannt.

Kekse scheinen vielfältig verwendbar. Zum Dortmunder Spiel vs. Arsenal ( 2 : 0) in der Champion’s League zeigte Borussia Dortmund, was Teamgeist heißt. Insofern kann ich die Reportermeinung nicht teilen: „ In der ersten Hälfte war das BVB-Spiel ein trockener Keks.“ Eine kompliziertere Pirouette führte sein Kollege beim Spiel Monaco vs. Leverkusen ( 1 : 0 ) vor: „Die Monegassen sind wie die Jungfrau zum Kind gekommen. Dann ist der Krawattenknoten aufgegangen“. Diese zeitliche Reihenfolge finde ich grundsätzlich originell. Die Nummer mit dem geplatzten Krawattenknoten könnte auch für eine Dame mit gehobenem Anspruch durchaus nicht ohne Reiz sein.

Am ersten Spieltag der EuroLeague hatte man in Mönchengladbach wie Everton eine Diskussion über Elfmeterentscheidungen. Beim Spiel Mönchengladbach vs. Villareal ( 1 : 1 ) gab es im spanischen Strafraum ein Handspiel. Der Linienrichter hob auch die Fahne, der Schiedsrichter schritt in Richtung 11-m-Punkt. Dann stoppte er, weil der Torrichter anderer Meinung war. In der Zeitlupe wurde der klare Elfmeter bestätigt, um den Mönchengladbach betrogen wurde. Andererseits war das Unentschieden gegen die viel besseren Spanier schmeichelhaft. Das 1:0 durch Hermann begleitete der Reporter mit dem herrlichen Satz: „ Aus dem schwachen linken Fuß wird auf einmal das Schokoladenbein.“

Beim Spiel Everton vs. Wolfsburg ( 4 : 1 ) stand es 2:0, als Wolfsburgs Sturm und Drang Phase in der zweiten Halbzeit begann. Dann aber gab es eindeutig vor der Strafraumgrenze das Foul eines Wolfsburger Spielers. Der Schiedsrichter verlegte dieses Foul in den Strafraum – eine deftige Benachteiligung der Werkstruppe aus Wolfsburg. In gerader Linie zur Stelle des Foulspieles stand ohne Sichtbehinderung der Torrichter. Warum dieser Trottel nun seinerseits nicht eingriff, bleibt mir ein Rätsel. Das dritte Tor war dann die Entscheidung. Über weitere Ausfälle der Wolfsburger schweigt man besser. 26 Mal schoss Wolfsburg immer genau dahin, wo der Torwart stand. Bei 12 Torschüssen war Everton viel effizienter. Bei soviel Harmlosigkeit höchstbezahlter Profis, sind m.E. kostenpflichtige Verwarnungen angesagt.

Ich bleibe dabei : Fußball ist großes Theater.

Da erobert nach vier Spieltagen der SC Paderborn die Tabellenspitze. Keiner widersprach, als die Experten ihn mit der Garantie zum Abstieg kennzeichneten. Aber die Spieler, die vorher anderswo aussortiert wurden, blühten unter dem vor wenigen Jahren arbeitslosen Trainer Breitenreiter auf. Er lehrt den Etablierten das Fürchten. Ein Bonner Sportjournalist schreibt dazu ganz ehrlich: „ Wer das am Saisonanfang vorhergesagt hätte, der glaubt auch daran, dass Zitronenfalter Zitronen falten.“ Dazu gehört auch das Tor des Paderborners Stoppelkamp aus 83 Metern. Früher als Chancentod etabliert, gelang ihm ein Volltreffer in die Fußballhistorie. Die Bayern haben Paderborn jüngst auf Normalmaß gestutzt. Gleichwohl bleibt die Erkenntnis, dass Teamgeist von soliden Fußballern fußballerische Lücken schließen kann.

Ein weiterer Kracher war die Interpretation von Handspiel durch Schiedsrichter Markus Schmidt im Spiel Schalke vs. Eintracht Frankfurt ( 2:2 ). Dies ahnend meinte vor Spielbeginn der WDR2 Moderator Sven Pistor: „ Schalke 04 ist der Verein für Anhänger mit manisch-depressiver Persönlichkeitsstruktur“. Drei Platzverweise ( zwei gegen S04, einer gegen die Eintracht) sorgten für die Grundstimmung. Darauf baute sich die Stimmung auf, als mit einer Bewegung zum Ball ein Schalker einen Regelverstoß unternahm, der nicht zu einem Elfmeter führte. Umgekehrt bekam beim Fallen ein Frankfurter aus kürzester Entfernung einen Ball an die Hand geschossen, der zum Elfmeter für Schalke führte. Trainer verlieren da schon einmal die Contenance. Hinzu kam in zwei Spielen eine geradezu gegensätzliche Auslegung, was „passives Abseits“ ist und was nicht. Darauf auch noch einzugehen, würde zu weit führen. Beim 1 : 1 gegen Maribor (Slowenien) wurde Pistors Einschätzung bestätigt.

Für die Nachspielzeit in Freiburg vs. Hertha BSC Berlin ( 2: 2 ) hätte es einen Topzuschlag geben müssen. Freiburg führte 2 : 1 nach 90 Minuten und das auch nach den angegebenen vier Minuten danach. Der Schiedsrichter ließ munter weiter spielen. In der 96. Minute gab es für Berlin dann noch einen Freistoß. Vom Schiedsrichter ungestraft behinderte der Berliner Heitinga Freiburgs Torhüter beim Stellen der Abwehrmauer. In diese Abwehr dirigierte Herthas Torhüter Kraft einige seiner Mitspieler, um das Bollwerk zu durchlöchern. Da gab es Gerangel ohne Ende. Der Schiedsrichter ließ das ungerührt zu. Der danach abgefälschte Schuss landete zum Ausgleich im Freiburger Tor. Freiburgs Trainer Streich, mit seinen Nerven am Ende, sagte nur noch völlig erschöpft: „ Ich hoffe, dass ich so etwas nie mehr erleben muss.“

Es hilft alles nichts. Das Spiel ist so schnell und kompliziert geworden, dass nationale und internationale Fußballverbände in die Ausbildung der Unparteiischen investieren müssen. Was nützen Blindgänger als Linienrichter oder als Torrichter, die dem die Verantwortung tragenden Hauptschiedsrichter eher hinderlich sind. Dass jüngst ein unkorrektes Tor nur deshalb anerkannt wurde, weil die Sprechverbindung ausfiel, sei nur der Vollständigkeit hier vermerkt.

Das große Theater Fußball wäre allerdings nicht vollständig ohne die Akrobaten des Wortes am Mikrofon. Eine „Kaffeefahrt mit Heizdeckenverkauf“ war nach dem Reporter die Fahrt des SV Werder Bremen nach Augsburg. Dort verlor man 4 : 2.Sein Kollege fragt beim Spiel VfB Stuttgart vs. Hoffenheim ( 0 : 2 ): „Was machen die Stuttgarter Stürmer zur Zeit eigentlich beruflich ?“

Bizarr war das Spiel der Bayern in Moskau. Sie gewannen 1 : 0 im leeren Stadion. Wegen rechtsradikaler rassistischer Äußerungen hat die UEFA die Russen ausgesperrt. Warum sie auch gleich die Münchener Fans mit ausschloss, bleibt das Geheimnis der Funktionäre.

Freude außerhalb des Fußballs bereiten auch die Bonmots aus den Bereichen Umgang mit der Sprache oder mit Zahlen, Geographie oder Mann mit Frau und umgekehrt. Einige Beispiele: Aus der FAZ: „ Vor vier Jahren haben insgesamt 44 Milliarden Zuschauer die Spiele in Südafrika verfolgt. Rekordverdächtige Einschaltquoten lassen nun noch mehr Fans erwarten.“ Der nächste FAZ-Gag folgte sogleich: „ Mehr als die Hälfte der Milliardäre hat ihr Vermögen selbst aufgebaut, vier Viertel zumindest teilweise.“ Da waren offensichtlich keine klugen Köpfe dahinter. Wo sind diese Friteusentaucher zur Schule gegangen ? Der Landesbund für Vogelschutz plakatierte in Nürnberg: „ Mitvögeln wird Nürnberg lebendiger.“ Da haben sie ohne Zweifel recht.

Die Thüringische Landeszeitung weist auf die Frankreichreise ihrer Leserin hin. „Es war sehr beeindruckend, am Meer zu stehen, sagte J.L., die vom Strand des Pazifischen Ozeans begeistert war.“ Nicht so weit ging es für die Rheinische Post. Für den Stadtdirektor geht es in den Norden. „ Wir machen eine Nordseetour. Erst eine Woche Sylt, dann eine Woche Rügen.“ Geographie muss wieder Hauptfach werden.